Welches Studium passt zu mir? – Studienanfänger verunsichert

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Welches Studium passt zu mir? – Studienanfänger verunsichert

Welches Studium passt zu mir, und wie schnell muss ich entscheiden? Die Angst vor einem Fehlgriff verunsichert viele Abiturienten. Aber das ist nicht das einzige Problem.

Bin ständig auf der Suche und weiß doch nicht, wonach“, beginnt Nele ihr Gedicht, das sie Gedankendschungel nennt. Eine Ringbuchseite weiter hat die 18-Jährige ihre Interessen aufgeschrieben. Von Apps und Digitalisierung über Politik und Psychologie bis zu „Zusammenkunft, Mobilisierung, gemeinsam etwas schaffen“ reicht die Liste. Im Abitur hatte Nele in Physik die besten Noten, gefolgt von Mathe und Politik-Gesellschaft-Wirtschaft, kurz PGW. Nur: Was soll sie jetzt studieren? Sie weiß es einfach nicht. Wenn ihre Eltern Fächer wie Wirtschaftsingenieurwesen oder BWL vorschlagen, weil das breit angelegt und zukunftsweisend sei, dann reagiert die Abiturientin aus Hamburg verhalten. Passen solche Studiengänge denn auch zu ihrer Kreativität und Kommunikationsstärke, fragt sie sich. Und was gibt sie alles auf, wenn sie sich für eine Richtung entscheidet?

Nele ist nicht allein mit ihren Zweifeln. Angesichts von fast 7500 grundständigen Studienangeboten in Deutschland, unzähligen Angeboten aus dem Ausland und einer digitalen Informationsflut macht sich das Gefühl von Überforderung bei vielen Schulabgängern breit, bestätigt der Hochschulforscher Sören Isleib. Der Referent für Bildungsverläufe und Beschäftigung am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in Hannover sieht dafür im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen werden die Studieninteressenten immer jünger: „Mit 18 Jahren ist da vielleicht noch ein Lernprozess offen, der eine berufliche Orientierung erschwert.“ Zum anderen werben die Universitäten mit vielen Angeboten und Informationen um die besten Schulabgänger: „Die Fülle an Möglichkeiten, sich zu informieren, haben zu einer Unübersichtlichkeit geführt.“ Die Folgen: desorientierte Studienanfänger, die zu höheren Abbrecherquoten führen. Das nehmen auch die Hochschulen, vor allem bei Erstsemestern wahr und bieten verstärkt Orientierungskurse an.

Das Angebot reicht von Brückenkursen, die Defizite zwischen Schule und Hochschule – etwa in Mathematik, den naturwissenschaftlichen Fächern oder im wissenschaftlichen Arbeiten allgemein – auszugleichen versuchen, bis hin zu ganzen Brückenjahren, die Orientierung versprechen, ob die gewählte Fachrichtung zum Kandidaten passt. Auch hier sind die Naturwissenschaften Vorreiter: „Für die MINT-Fächer ist es eine Herausforderung, die richtigen Kandidaten zu finden und zu binden“, sagt Soziologe Isleib. Den Schulabgängern fehle durch die Verkürzung der Schulzeit ein Jahr, in dem sie Wissen erwerben und vertiefen könnten. Zudem wählen sie bisweilen naturwissenschaftliche Fächer aus notenstrategischen Gründen ab – und erhalten in einem MINT-Studium dafür die Quittung. Für mehr Orientierung und Qualifizierung bieten einige Fakultäten daher interdisziplinäre Programme an, die manchmal direkt in ein Studium übergehen und schon Prüfungen beinhalten – und die Praxiserfahrung, Berufsorientierung und Beratung verknüpfen und dem Studium voranstellen.

Manche Orientierungsprogramme sind richtig teuer

Während so ein Studium auf Probe an einer staatlichen Hochschule häufig mit den Semestergebühren oder wenig mehr abgedeckt ist, sind in den vergangenen Jahren auch viele private und damit deutlich teurere Orientierungsprogramme entstanden. Zum Beispiel in der Medizin. Schließlich gibt es genug Anwärter, die Wartezeit überbrücken und Wissenslücken schließen müssen. Zum anderen sind da die fachübergreifende Angebote. Wie viele es insgesamt sind, weiß auch Sören Isleib nicht. „Ich kann nur bestätigen, dass Orientierungssemester und Probestudien insgesamt an Bedeutung zugelegt haben“, sagt er. Dies lasse sich aus Befragungen von exmatrikulierten Studenten, von Fakultäten und Beratungseinrichtungen schließen. „Aber leider nicht wirklich quantifizieren“, wie er zugibt.

Der Grund ist nicht nur in der Vielfalt der deutschen Bildungslandschaft zu suchen, sondern auch in den unterschiedlichen Zielen und verwirrenden Bezeichnungen. Geht es tatsächlich um ein Schnupperstudium? Dann sollten die fachlichen Inhalte, die im Laufe eines Studiums entscheidend sind, auch im Vordergrund stehen, fordert Isleib. Oder geht es um die Erweiterung des Horizonts, Persönlichkeitsbildung, interdisziplinäres Arbeiten? Das „Studium Generale“ im Leibniz-Kolleg in Tübingen zum Beispiel verspricht eine Mischung von allem: Schulabgänger leben, lernen und diskutieren unter einem Dach, sie erhalten Einblick in die Arbeitsweisen einzelner Fächer aus Geistes-, Natur- und Sozialwissenschaften und führen einzelne Disziplinen und Methoden in fachübergreifenden Projekten wieder zusammen. Eine Art Vorstudium im geschützten Bereich, das 4700 Euro kostet und „Angst vor dem Neuland Universität“ nehmen möchte, wie die Internetseite verspricht.

Angst vor dem Studium? Was ist nur los mit den Abiturienten von heute, könnte man fragen. Allerdings: Das Angebot aus Tübingen ist schon fast 70 Jahre alt. Damals wollte es die Studierfähigkeit einer Kriegsjugend sichern, heute die einer anspruchsvollen und zugleich getriebenen Generation. „Die Jugendlichen müssen die erste lebensrelevante Entscheidung selbst treffen, deren Ausgang sie nicht kennen“, sagt Ragnhild Struss, Geschäftsführerin eines Beratungsunternehmens für Karrierestrategien. Das war noch nie leicht, aber heute fehlen auch noch die Vorbilder: Wenn Eltern von der besten Zeit ihres Lebens erzählen, dann meinen sie jedenfalls nicht die verkürzten, stark reglementierten Studiengänge, wie es sie heute gibt.

Junge Absolventen, stark gestraffte Studiengänge

Für Antonia Gohr, Sprecherin der englischsprachigen Jacobs University in Bremen, liegt darin die Hauptursache: Immer jüngere Absolventen treffen auf arg gestraffte Studiengänge. „Hierzulande sind die Studieneingangsphasen sehr knapp. In den Vereinigten Staaten dauert ein Bachelor-Studium ein Jahr länger, und die Studierenden dürfen im ersten Jahr unterschiedliche Disziplinen ausprobieren“, sagt sie. Das ist auch Vorbild für eine Art Brückenprogramm, das die Privathochschule mit der ersten Schulzeitverkürzung von 13 auf 12 Jahre auf den Weg gebracht hat. In diesem Jahr wird sie die Zahl der Studienplätze von 25 auf 50 verdoppeln. „Die Nachfrage und der Bedarf an einer strukturierten Studieneingangsphase sind groß“, sagt Antonia Gohr. Ein Drittel der Teilnehmer sind Deutsche.

Psychologie, Politik, Physik oder Wirtschaft zum Ausprobieren, Beratung, individuelle Betreuung und Internationalität – eigentlich genau das, was Nele sucht. Allerdings müsste sich die Abiturientin dafür auf jeden Fall ein Stipendium beschaffen. Denn das Programm kostet stattliche 23 000 Euro. Auch wenn dafür eine Rundumversorgung versprochen wird. Aber Nele will ohnehin nicht so sehr an die Hand genommen werden. Vor allem will sie nicht nur mit denen studieren, die es sich leisten können. „Lieber organisiere ich mir das selbst“, sagt sie. Und zwar so: Drei Monate Praktikum in einer Werbeagentur, danach sechs Monate Freiwilligeneinsatz in Südafrika – bleiben noch drei Monate für Studienorientierung, Schnuppertage und Bewerbungen.

Gut gedacht, nur verkehrt herum gemacht, so die Erfahrung von Ragnhild Struss. Sie versteht den Wunsch vieler Schulabsolventen, so schnell und so lange wie möglich – und am besten so weit entfernt von zu Hause wie möglich – Auslandserfahrungen zu sammeln. Aber vor der Reise sollte die Studienwahl getroffen sein, sagt sie. Denn: „Wer in Australien in einer Mine arbeitet, um sich die nächste Etappe seiner Reise zu finanzieren, wird sich vor Ort bestimmt nicht mit der Frage der Studienfachwahl befassen.“ Die Karriereberaterin begrüßt das sogenannte „Gap Year“ zwischen Schule und Hochschule, sofern es frühzeitig und sinnvoll geplant werde. „Ich empfehle, sich die letzten Herbstferien vor dem Abitur und jeden Samstag dafür Zeit zu nehmen“, sagt sie. Zeit für die Frage: Was soll nächstes Jahr passieren? Die Hilfsmittel dabei: Orientierungstests für Studiengänge, Vorlesungsverzeichnisse, Literaturlisten aus dem ersten Fachsemester und Youtube-Videos. „Viele Professoren stellen ihre Vorlesungen ins Netz“, sagt sie.

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