Prüfungsrecht: Bewertung von Aufsichtsarbeiten im Staatsexamen

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Prüfungsrecht: Bewertung von Aufsichtsarbeiten im Staatsexamen

Rechtsanwalt

Das BVerwG hat sich in einer aktuellen Entscheidung von März
2018 mit der Abgrenzung zwischen fachspezifischen und prüfungsspezifischen Wertungen
einer Prüfung auseinandergesetzt.
Der Unterschied zwischen
den beiden Wertungsformen ist deswegen relevant, weil fachspezifische Wertungen,
die beispielsweise die Richtigkeit oder Unrichtigkeit oder die Vertretbarkeit
bzw. Unvertretbarkeit einer Lösung betreffen, gerichtlich voll überprüfbar
sind. Prüfungsspezifische Wertungen hingegen, die zahlreiche Aspekte umfassen
wie Überzeugungskraft der Argumente, den Aufbau der Darstellung, Folgerichtigkeit
des Begründungsgangs, Bedeutung eines Mangels oder Fehlers und andere Kriterien
mehr, sind gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich nur dahingehend, ob die Grenzen des prüfungsrechtlichen Bewertungsspielraums eingehalten wurden.

In dem Rechtsstreit
waren zwei Anwaltsklausuren aus dem Zweiten juristischen Staatsexamen
streitgegenständlich.
Die Korrektoren
bemängelten, dass der Kläger verschiedene materiell-rechtliche
Anspruchsgrundlagen nicht behandelt hätte, was negativ gewertet wurde.
Der Kläger hielt diese Mängel jedoch für nicht derart gravierend
und erhob gegen die Bewertung Widerspruch und Klage, mit dem Ziel, eine Neubewertung
der Aufsichtsarbeiten zu erreichen. Nach dem oben gesagten, war dies nur
möglich, wenn dieser Aspekt der Klausur eine fachspezifische Frage ist, denn
nur dann wäre sie verwaltungsgerichtlich überprüfbar.
Im Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision
warf der Kläger als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage auf, ob
Beurteilungen des Prüfers über die Vollständigkeit der vom Prüfungsteilnehmer
vorgenommenen rechtlichen Prüfung unter
Berücksichtigung der Aufgabenstellung und des Lösungswegs fachliche Wertungen
darstellen, die der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung
unterliegen.
Das BVerwG verneinte eine grundsätzliche Bedeutung dieser
Frage und resümiert zunächst die diesbezügliche Rechtsprechung des Gerichts:
„Leistungsbewertungen
obliegen ausschließlich den dafür bestimmten Prüfern, die diese Aufgabe
eigenständig und unabhängig wahrzunehmen haben. Nur die Prüfer, nicht die Prüfungsbehörden üben den prüfungsrechtlichen
Bewertungsspielraum aus. Die Prüfertätigkeit lässt sich aufgrund ihrer
Komplexität weitgehend nicht durch allgemeingültige Regeln erfassen. Vielmehr
nimmt der jeweilige Prüfer die Bewertung anhand von Maßstäben vor, die er in
Bezug auf die konkrete Prüfungsaufgabe autonom
erstellt.
Sie beruhen auf einem
Bezugssystem, das vor allem durch seine persönlichen Erfahrungen,
Einschätzungen und Vorstellungen gebildet wird. Diese Maßstäbe muss der Prüfer
aus Gründen der Chancengleichheit auf die Bewertung aller Bearbeitungen
derselben Prüfungsaufgabe anwenden.
Auf ihrer Grundlage
trifft er eine Vielzahl fachlicher und prüfungsspezifischer
Wertungen; diese Wertungen setzt er nach der Bedeutung, die er ihnen
aufgabenbezogen beimisst, in ein Verhältnis zueinander.
Aufgrund der
Gewichtung der einzelnen Vorzüge und Nachteile der Prüfungsleistung
und deren Vergleich mit anderen Bearbeitungen vergibt der Prüfer die Note, d.h.
er ordnet die Prüfungsleistung in eine normativ
vorgegebene Notenskala ein.
Die Eigenart dieses
Bewertungsvorgangs und die dabei zu beachtenden Anforderungen des Gebots der
Chancengleichheit machen es notwendig, den Prüfern einen Bewertungsspielraum
zuzuerkennen, dessen Wahrnehmung nur einer zurückgenommenen
verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung unterliegt.“
In Abgrenzung hierzu seien fachspezifische Wertungen zu
setzen:
„Der
Bewertungsspielraum erstreckt sich jedoch nicht auf fachliche Wertungen des
Prüfers, d.h. auf dessen Entscheidungen über die fachliche Richtigkeit
konkreter Ausführungen des Prüfungsteilnehmers. Hierbei handelt es sich um
Stellungnahmen zu Fachfragen, die einer fachwissenschaftlichen Erörterung
zugänglich sind. Deren Bewertung hängt davon ab, ob die vom Prüfungsteilnehmer
vertretene Auffassung nach dem Stand der Fachwissenschaft vertretbar ist.
Dieser objektive Bewertungsmaßstab tritt für die Beantwortung von Fachfragen an
die Stelle der autonomen Einschätzung des Prüfers. Der Prüfer muss den Maßstab
beachten; er darf fachlich vertretbare Antworten nicht als falsch bewerten. Die
Verwaltungsgerichte haben nachzuprüfen, ob der Prüfer diesen Maßstab beachtet,
d.h. eine fachlich richtige oder doch vertretbare Bemerkung nicht als falsch
bewertet hat.“
Dies wiederum stellt das BVerwG in Bezug zum konkreten Thema
des Rechtsstreits:
“Ein derartiger
genereller Maßstab fehlt bei den Wertungen, die sich damit befassen, wie der Prüfungsteilnehmer
die Anforderungen der konkreten Prüfungsaufgabe bewältigt hat. Sie beruhen auf
dem autonomen Bezugssystem des jeweiligen Prüfers. Solche prüfungsspezifischen
Wertungen sind die Bestimmung des Schwierigkeitsgrades der Aufgabe sowie die
Bewertung der Überzeugungskraft der Argumente, des Aufbaus der Darstellung und
der Folgerichtigkeit des Begründungsgangs. Prüfungsspezifisch sind auch die
Gewichtungen der einzelnen fachlichen und prüfungsspezifischen Wertungen; d.h.
die Bestimmung ihrer Bedeutung für die Notenvergabe. Hierfür muss sich der
Prüfer darüber klar werden, welche durchschnittlichen Anforderungen er an eine Prüfungsleistung
stellt. In Bezug auf prüfungsspezifische Wertungen sind die Verwaltungsgerichte
darauf beschränkt nachzuprüfen, ob der Prüfer die Prüfungsleistung vollständig
und richtig zur Kenntnis genommen hat, sachwidrige Erwägungen in die Bewertung
hat einfließen lassen, seine autonomen Bewertungsmaßstäbe einheitlich angewandt
und allgemeingültige Bewertungsgrundsätze beachtet hat. Schließlich müssen die prüfungsspezifischen
Wertungen und Gewichtungen nachvollziehbar sein; sie dürfen insbesondere keine
inhaltlichen Widersprüche enthalten.“
Das BVerwG subsumiert sodann:
„Danach stellen
Wertungen des Prüfers, die sich damit befassen, ob der Prüfungsteilnehmer alle
in Betracht kommenden fachlichen Fragen behandelt hat, nur dann fachliche
Wertungen dar, wenn sie einer Richtigkeitskontrolle anhand des
fachwissenschaftlichen Meinungsstandes zugänglich sind. Die Wertungen müssen an
diesem objektiven Maßstab gemessen werden können. Dies ist bei Wertungen nicht
der Fall, die sich damit befassen, ob der Bearbeiter die von der Prüfungsaufgabe
aufgeworfenen Fragen vollständig oder nur lückenhaft erkannt hat. Derartigen
Wertungen liegt die Einschätzung des Prüfers zugrunde, welche Anforderungen die
konkrete Aufgabenstellung an die Bearbeitung stellt. Sie sind prüfungsspezifischer
Natur, weil dies nicht anhand fachwissenschaftlicher Kriterien beurteilt werden
kann. Dementsprechend haben die Verwaltungsgerichte Wertungen des Prüfers, der
Bearbeiter habe nicht alle Fragen erkannt, deren Behandlung nach der
Aufgabenstellung gefordert sei, daraufhin nachzuprüfen, ob sich der Prüfer
innerhalb der Grenzen des Bewertungsspielraums gehalten hat. Dies hängt vor
allem davon ab, ob er die Aufgabenstellung nachvollziehbar interpretiert hat.
Demzufolge ist die
Kritik der Prüfer, der Kläger habe nicht alle materiell-rechtlichen
Anspruchsgrundlagen bzw. Rechtsfragen behandelt, nicht an dem Meinungsstand zu
einer Fachfrage, sondern an den Anforderungen der Aufgabenstellung zu messen.
Es handelt sich nicht um fachliche, sondern um prüfungsspezifische
Wertungen: Konnte die Behandlung einer konkreten Frage aufgrund des
Klausursachverhalts nachvollziehbar erwartet werden, darf deren Nichtbehandlung
nachteilig bewertet werden.“
Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte letzlich keinen Erfolg,
die vorgenommene Abgrenzung zwischen überprüfbaren fachlichen Wertungen und nur
eingeschränkt überprüfbaren Wertungen war jedoch aufschlussreich.
Az.: BVerwG vom 05.03.2018, 6 B 71/17

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